Zum Hauptinhalt springen

Revolution an der Tischtennis-Platte

Württemberg, Baden und Südbaden, das war einmal. Zumindest im Tischtennis. Der Zusammenschluss zu einem Verband wäre eine Zäsur in der Sportgeschichte.

Württemberg trifft Baden – und macht im Tischtennis bald gemeinsame Sache.

Stuttgart - Dieser Tage hat Rainer Franke die Briefe verschickt, die die Revolution in der Sportlandshaft imSüdwesten ankündigen. Adressiert hat der Präsident des Tischtennis-Verbandes Württemberg-Hohenzollern (TTVWH) sie an den Landessportverband Baden-Württenberg (LSV) und den Württembergischen Landessportbund (WLSB).

In die Geschichte sind viele Kürzel involviert, unterm Strich aber sollen es in Baden-Württemberg alsbald drei weniger sein: die Tischtennis-Verbände in Württemberg, Baden (BaTTV) und Südbaden (SBTTV), so steht es in den Briefen, wollen nämlich fusionieren. Mehr als 60 Jahre nach der Gründung Baden-Württembergs könnte das Tischtennis-Land vereinigt werden.

Das klingt alles wenig sexy. Nach sportpolitischem Schwarzbrot. Ist es aber nicht, weil dieses Vorhaben eine Zäsur bedeutet. Denn der Zusammenschkuss, der größte in Baden-Württembergs-Sportgeschichte, könnte wie ein Dominostein erhebliche Prozesse in der verkrusteten Statik des Sports im Südwesten in Gang setzen – worauf nicht wenige seit Jahrzehnten warten.

Spötter behaupten ja, dass eher Nordkorea und Südkorea freudvoll zu einer Nation verschmelzen als dass sich das Sportland Baden-Württemberg von seiner gewachsenen Vierfach-Struktur mit dem Landessportverband (LSV) als Dach und den drei Sportbünden in Württemberg (WLSB), Baden (BSB Nord) und Südbaden (BSB Süd) verabschiedet und die vier Organisationen zu einer werden.

Das Konstrukt ist bundesweit einmalig, ein Überbleibsel landsmannschaftlichen Misstrauens in den drei Landesteilen. „Faktisch sind die alten Besatzungsgrenzen noch immer unsere Sportgrenzen“, hat der langjährige LSV-Geschäftsführer Rainer Hipp mal gesagt. Bei Veranstaltungen auf Bundesebene sei er gelegentlich spöttisch gefragt worden: „Seid ihr wieder mit dem Bus da? Da kommt ja nicht nur ein Vertreter, sondern da reisen wir mit vier Abgesandten an.“

Anmerkung zum Bericht:
Das Konstrukt gibt es auch in Rheinland-Pfalz mit den Verbänden Rheinland, Rheinhessen und Pfalz

Tischtennis, da sind sich die drei regionalen Verbands-Präsidenten einig, will nur noch einen Abgesandten zu bundesweiten Treffen schicken. Am 8. Januar wird der Prozess mit einer Veranstaltung in Karlsruhe offiziell eingeleitet. Hinter den Kulissen wird das komplizierte Unterfangen schon länger mit Hochdruck vorbereitet. Der Weg zum „Baden-Württembergischen Tischtennis-Verband“, wie das Kind wohl heißen wird, wird ein langer werden.

Es gibt keine Blaupause für diesen Prozess. Die Formalien machen aus der Fusion eine Herkulesaufgabe. Diverse Arbeitsgruppen, paritätisch besetzt, weil wir ja nicht von einer Übernahme sprechen, müssen die drei Organisationen mit all ihren historisch gewachsenen Unterschieden zu einem funktionierenden Apparat umbauen. Sei es in der Verwaltung, sei es bei der Wettspielordnung, sei es bei vielen anderen wichtigen Details wie Abrechnungs- und Satzungsfragen.

Entsprechend viel Zeit nimmt man sich. 2019 sollen die Mitgliederversammlungen der Fusion zustimmen. „Wir schaffen das“, sagt Franke. Aber: die Tischtennis-Fusion ist schonmal gescheitert: bereits in den 1990er Jahren wollten die drei gemeinsame Sache machen, Württemberg und Nord-Baden stimmten 1998 zu, in Südbaden gab es zwar eine Mehrheit, aber nicht das erforderliche Dreiviertelvotum. Und nun? „Die Zeit ist reif“, sagt Rainer Franke. Dass es zum Zusammenschluss kommen soll, hat vor allem praktische Gründe: Tischtennis hat in Fläche Probleme, der Spielbetrieb wird immer schwerer, es fehlen Ehrenamtliche und so weiter. Die Fusion soll helfen. „Wir wollen die Kräfte noch weiter bündeln“, sagt Rainer Franke.

Immer wieder gab es auch auf höchster Ebene Initiativen, die Struktur im Land aufzulösen und den Sport zu vereinen. Es wurde dabei viel Porzellan zerschlagen und diverse landsmannschaftliche Fehde geführt, die zu schweren Verwundungen und tiefen Gräben im Bindestrich-Sportland geführt hat. Diese Prozesse wirken bis heute, auch wenn die Sportbünde längst eine Arbeitsebene gefunden haben. Aber eine Fusion? Bloß nicht. Die (übrigens auch politisch gewollte) Einheit des Sports im Land kann wohl nur von unten kommen. Wenn sich also immer mehr Fachverbände auf Baden-Württemberg-Ebene zusammenschließen, ist die Fusion oben irgendwann die logische Folge. Bisher sind vornehmlich kleinere Sportarten auf Baden-Württemberg-Ebene organisiert. Tischtennis mit seinen fast 100 000 Mitgliedern wäre bei erfolgreicher Abstimmung Stand jetzt der größte Baden-Württemberg-Verband im LSV. „Ich erhoffe mir, dass das eine Signalwirkung hat“, sagt TTVWH-Chef Franke. Und vielleicht andere ermutigen, etwa die Turner als neben Fußball mächtigste Sportart.

In der Vergangenheit war es nicht immer so, dass angedachte Zusammenschlüsse bei den Sport-Bünden auf Gegenliebe gestoßen sind. Mutmaßlich aus Angst vor schleichendem Machtverlust. Manch Knüppel, so heißt es, wurde da früher zwischen die Beine geworfen. 2005 scheiterte die Fusion der drei Judo-Verbänden.

Regionale Geschäftsstellen sollen im Tischtennis garantieren, dass niemand Angst haben muss, abgehängt zu sein. Die Verbände arbeiten bereits seit 1999 in einer Arbeitsgemeinschaft in vielen Bereichen eng zusammen, auf Bundesebene treten bei Mannschafts-Wettbewerben schon seit längerem im Jugend-Bereich Teams für Baden-Württemberg an – und nicht wie früher eines für Württemberg, Baden oder Südbaden. Entsprechende Arbeitsgemeinschaften sind heute in allen Fach-Verbänden Pflicht. Die Revolution hat begonnen.

 Quelle: Tobias Schall, 21.11.2016